Obwohl die älteste Erwähnung erst von 1633 vorliegt, darf mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass wie in den benachbarten Städten auch in Neustadt schon lange Zeit vorher auf den Vogel geschossen worden ist. Es liegen aber darüber leider keine schriftlichen Belege vor. Bei mehrfachen Stadtbränden ist vermutlich auch manches alte Schriftstück mitverbrannt.
Die Berichterstattung ist daher auf einige, mehr zufällig erhaltene Quellen angewiesen, die als
Streiflichter des Geschehens nachstehend beleuchtet werden.
Die Aufgaben der Krankenpflege, der Totenbestattung, Brandverhütung und Brandbekämpfung haben in Neustadt verschiedene Gilden und Einrichtungen erfüllt. Das Vogelschießen ist anscheinend nicht kontinuierlich wie an anderen Orten von einer mit besonderem Namen existierenden Vogelgilde durchgeführt worden, sondern war— wie wir noch lesen werden — ein Fest der Bürgerschaft, an dem jeder Bürger teilnehmen konnte. Die Organisation oblag dafür bestimmten Vorstehern.
Am 28. Januar 1633 tragen die Vorsteher des Vogelstanges, nämlich Hans Reinicke, Hans Westhoff und Lafrentz Cosmus dem Rat ihr Anliegen vor. Michael Schütte als letzter König des Papagoien solle den vortrauten (vertrauten) Papagoien (da ist der silberne Königsvogel, den derjeweilige König während seiner Amtszeit als Zeichen seiner Würde, an einer Kette befestigt, trug), welchen er auß der Stadt vorsetzet, wieder herbei verschaffen.Michael Schütte gibt zurAntwort, dass er den Papagoien Hinrich Beckmann zu Bleystorff (Bliesdorf) zur verwahren getan, erbeutt (erbot) sich aber, denselben hinwieder zu liefern. Er möchte dafür aber auch die zur Königswürde gehörenden Freiheiten beanspruchen. Ihm wird aufgetragen, den Papagoien bis negst Kommende Vastelabendt wieder zu beschaffen. lm übrigen habe er ein Jahr dieFreiloße auf dem Holm (Nutzung der Königswiese und des Vogelplatzes am Gogenkrog) und (1 Jahr) Befreiung vom J.H.G. Schoß (ihro Herzoglich Gnaden Schoß = Grundsteuer) genossen.
Diese Notizen befinden sich in der Landesbibliothek in Kiel unter SHX 211 im Nachlaß Schröder/Alleweldt. Schröder hat sie offensichtlich in Kurzfassung aus Neustädter Archivunterlagen entnommen, vermutlich aus einem Rats- oder Gerichtsprotokoll, dessen Original aber im Neustädter Stadtarchiv z. Zt. unauffindbar ist.
Was ist der Angelegenheit zu entnehmen? Es geht nicht aus den Aufzeichungen hervor, wann Michel Schütte König wurde. Das wird vermutlich vor 1625 gewesen sein. Mindestens seit diesem Jahre wird wohl kein Vogelschießen veranstaltet worden sein, weil Neustadt im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges durch laufende Einquartierungen große Belastungen erlitt: Soldaten des Dänenkönigs Christian IV. seit 1625, 1627 Tillys Truppen, ab 1630 wieder dänische Soldaten, die erst 1635 abziehen, nachdem der friedfertige Gottorfer Herzog Friedrich III. als neuer Landesherr im Herbst 1635 die Stadt anläßlich einer Bereisung seiner Landesteile besuchthatte. Warum aber die Aufforderung 1633?
Ein Blick in die Protokolle des Neustädter Unter- und Obergerichts gibt Aufklärung. Dort erscheint der Name Michel Schütte häufig. 1630 ist sein Beruf verzeichnet: Glaeser (also Glaser). In den Einwohnerlisten von 1628 und 1631 ist sein Name im Kremperstraßer-Quartier in der Nähe des Marktplatzes verzeichnet. 1632 sagt er als Zeuge aus: Der verstorbene Clauß Grage sei in seyn Hauß gekommen, den ganzen Tag über sitzen geblieben und habe mit ihm getrunken. Da sei Hennigh Störmb gekommen und habe gesagt: Ihr sitzet hier und sauffet. Ich meine, Ihr solt mich die Fensterschlege anschlagen...
Das am 7. Dezember 1632 begonnene Untergerichtsprotokoll beginnt in sauberer Schrift mit dem Text: Recht hat Gott erschaffen. Drumb thu Recht und schwor dem Teufel nicht.
Am 2. April 1633 steht: Es claget Hinrich Wulff von der Crempe über Michel Schütte, daß er ihm schuldig sey 30 Mark lübsch. Er bittet, daß ihm zu solchem Gelde geholfen werden möge.
Michel Schütte erkennt die Schuld an. Weil er aber jetzt nicht bezahlen könne, bittet er um Aufschub bis Martini, dann wolle er die Hälfte und am Vastelabent 1634 den anderen Teil bezahlen.
Im Juni 1634 klagt Michel Schütte über Lenke Staelß, dass sie ihm seit 1627 vierzig Mark schulde. Im September 1634 klagt Johannes Simoniß. Für ein ausgeliehenes Kapital von 40 Mark und 7 Jahren schuldiger Zinsen an Michel Schütte hätten Hinrich Barchmann und Hartwich Grelle die Bürgschaft übernommen; da er weit abgelegen wohne und darumb nicht oft reisen könne, sollten die beiden Bürgen zur Bezahlung oder einer festen Zusage angehalten werden. Dazu verpflichten sich die beiden vor Gericht.
Michel Schütte war also offensichtlich in Zahlungsschwierigkeiten. Und deswegen verlangten 1633 wohl die Vorsteher den Papagoien endlich zurück, um sicher zu gehen, dass er bis zum nächsten Vogelschießen nicht verschüttet geht. Vielleicht hatte Michel Schütte den Papagoien in Bliesdorf als Pfand für eine geliehene Geldsumme hinterlegt. Am Vastelabend (Fastnacht-Dienstag, letzterTag vor der Fastenzeit!) fand üblicherweise die Jahresversammlung zwecks Abrechnung statt. Bis dahin wollten die Vorsteher die Angelegenheit wohl geregelt haben.
Wann nun das nächste Vogelschießen stattfand, ist nicht zu ersehen.
Übrigens, Michel Schütte hatte auch andere Probleme beim Gericht zu erledigen.
Am 10. September 1633 klagt Michel Schütte der Alte vor dem Gericht. Sein Sohn sei mit dem Övelgünner Volcke aus dem Thore gegangen! Da sei jenem Hinrich Eversnick mit dem Pferde begegnet, hätte ihn angegriffen und eine Schlägerei angefangen.
Das hätte er, der Vater, gesehen. Bei dem Versuch, die beiden auseinanderzubringen, wäre er wie sein Sohn von Eversnikck durch 3 Blutlohse (Wunden) verletzt worden. Dieser hätte ihm auch seinen puffer (Pistole) unter dem Leibe losgeschossen.
Letzterer sagte aus: er hätte mit dem Sohn zuvor etwas Zanck gehabt. Als er ihm zwischen Thores begegnet sei, habe der Sohn in die Pferdezügel gegriffen und ihn mit den Worten angefahren:
begegnest du mir alhir, du redtlicher Voegel (schneller Vogel). Da sei er vom Pferde gestiegen und habe mit der Schlägerei angefangen. Als Vater Schütte seinem Sohn zu Hilfe eilte und ihn mit dem Stocke ein Bludtlohs zugefüget, hätte der dem Vater seinen Puffer abgenommen und ihn für einen Schelm gescholten.
Die Richter entschieden: da über den Streit selbst kein Beweis zu führen sei, solle alleine das Bludt die Zeuchniß sein. Beklagter hat für zugefügte Bludtlohse 6 Mark und Kläger für ein zugefügtes Bludtlohs sowie die Scheltworte 1 Taler zu erlegen.
Wegen der unruhigen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges hatte man, wie schon angedeutet, ohnehin wohl keine Lust, Vogelschießen durchzuführen; denn wichtiger war jetzt die Verteidigungsbereitschaft der Stadt gegen eventuelle Angriffe von außerhalb. Eine Protokollnotiz vom 30. Oktober 1637 sagt aus: Ein ehrbarer Rat hat aus bewegenden Ursachen beschlossen, daß jeder Bürger sein Gewehr in Bereitschaft halten soll. Diejenigen, die Musqueten haben, sollen dabei 2 Pfund Pulver und 3 Pfund gegossene Kugeln vorrätig halten. Diejenigen, die Feuerröhre gebrauchen, sollen 1 Pfund schieres (reines) Pulver und 2 Pfund gegossene Kugeln vorrätig haben. Jeder soll sich acht Tage in Bereitschaft halten, sich bei Nacht und Tage darauf einstellen, auch sein Vieh aus dem Felde zurückhalten.
Am 5. Dezember 1637 beschließt der Rat weil leider Gottes an den benachbarten Orten das Vieh gantz hauffen weiß wegfält folgendes: Jedes durch die Seuche verendete Vieh soll vom Schinder unabgezogen in eine Grube versenkt werden, entweder für‘s Brüggethor bei der Vogelstange uff der Weide oder fürm Krempferthore hinter der Borne (Brunnen) nachm saltz Wasser. Aus dem Tor und auf die Straße sollen keine Schweine gejagt werden, bis das Viehsterben geendet hat. Mit dieser Nachricht ist die Lage des alten Schützenplatzes gekennzeichnet, wie ihn auch die Stadtpläne von 1755 und 1813 (dort als "Schützenhof" benannt) ausweisen auf dem Gelände des jetzigen Parkplatzes zwischen der Lienaustraße und dem Sportplatz. Ein Foto, vom Galgenberg aus vor 1870 aufgenommen, zeigt — wenn auch schwach —die Baumrunde des Schützenplatzes, bevor er 1871 zum jetzigen Standort verlegt wurde.
Am 8. Mai 1665 forderte der Rat auf Begehren der Vorsteher des Goyens die gantze Bürgerschaft uffs Rahthauß. Dort wurde einhellig von allen Anwesenden begehret, daß das exercitium (Ausübung) deß Vogel- oder Goyen-Schießens hinwieder in vohrigen Standt solte gebracht und fohrtgesetzet werde. Die entstehenden Kosten sollten aus dem gemeinen Stadtbeutel genommen werden.
Grundriß aus dem Jahre 1649 - Neustadt in Holstein -